Zurück in die Zukunft

Bolzwies-Echo 2/96,   1.6.1996,   Artikel 7 von 12   zurück    weiter    Inhalt

Eine Geschichte von Andreas Kläser.

Mittwoch, 27.5.2009, 23:04 Uhr. Europapokal der Landesmeister. Finale. FC Liverpool gegen FC Bolzwies. Elfmeterschießen. Es steht 5:4 für die Bolzwies, Liverpool hat noch einen Schuß. Und ich muß ihn halten. 80000 im Londoner Wembleystadion um mich herum. Aber sie sind so weit weg. Für mich gibt es im Moment nur noch drei Dinge, die zählen: Der Ball, der Schütze und ich. Wie beim Western, beim showdown, dem entscheidenden Duell, stehen wir uns gegenüber: Franky Borshett und ich. Auge in Auge. Keiner weicht dem Blick des anderen aus. Jeder versucht, den anderen nervös zu machen. Die Sekunden kommen mir vor wie eine Ewigkeit. Ich denke an meine Mitspieler: Schdolle, Balou, Fronk, Flemming, Giga, Lemmi und wie sie alle heißen. 120 Minuten lang haben sie Gras gefressen, jeden Zentimeter des Platzes umgepflügt, es wurde gefightet, gegrätscht, gedribbelt, geflankt, geschossen, geköpft, gepaßt, gespurtet, getrabt, gestanden, gefoult, gefallen und wieder aufgestanden. Aber der Ball wollte nicht ins Tor. Ein paar Meter weiter die Gegner. Genauso ausgelaugt, sie haben genauso hart gefightet wie wir. Aber auch ihnen blieb der Torerfolg versagt. So kam es dann zum Elfmeterschießen.

Ich denke an die Vergangenheit. Wie war das damals, vor etwas weniger als 19 Jahren, als wir uns für das erste Turnier angemeldet haben? Hätten wir uns damals je träumen lassen, daß wir mal in einem Europacup-Finale stehen würden? Daß wir überhaupt mal über den Hobby-Fußball-Bereich hinauskommen würden? Bestimmt nicht. Ich hatte mich sogar geweigert, uns überhaupt für die Kreisliga B anzumelden. Aus Zeitmangel. Ich vergaß damals ganz, daß es nichts schöneres auf der Welt gibt, als seine Zeit mit Fußball zu verbringen.

Doch dann kam der Konkurs des 1.FCS. Für den symbolischen Preis von 1 DM kauften wir das Ludwigsparkstadion und investierten ein Jahr an Zeit, Tausende Liter Schweiß und enorm viel Nerven, um die Voraussetzungen für einen professionellen Spielbetrieb zu schaffen. Wir brauchten eine Satzung, die Höddes Freundin Ulrike, die sich mittlerweile Prof. Dr. Dr. jur. med. dipl. kfm. bwl. bio. dent. chem. nennen darf, freundlicherweise für uns entwarf. Wir stellten mit Martin Backes den wohl fähigsten Manager der Nachkriegszeit ein und verpflichteten mit Herbert K., genannt "Der Wechsler", den besten Trainer der Welt. Seinen Spitznamen bekam er übrigens, als er im Endspiel um die Saarlandmeisterschaft 1998 nach drei Minuten sein Auswechselkontingent bereits erschöpft hatte, weil Ihléé, Hödde und Schdolle ein Fehlpaß unterlaufen war.

Der Durchmarsch dann war leicht. In jedem Jahr stiegen wir auf - außer in einem, als sich Hödde nach einem Streit um ein Überraschungsei von seiner damaligen Verlobten Ulrike getrennt hatte und wieder bei uns mitspielte. Glücklicherweise für alle Beteiligten renkte sich alles doch wieder ein, Hödde hat seine Uli geheiratet, und ihr jüngster hat gerade in unserer F-Jugend im 3. Spiel als Libero sein 2. Eigentor geschossen. Und schließlich war damit für den FC Bolzwies der Weg frei, auf Jahre hinaus die spielstärkste Mannschaft Deutschlands zu werden.

2007 stiegen wir in die Bundesliga auf, mit haargenau demselben Kader wie 1993, als wir unser erstes Hobby-Turnier gewannen - mal abgesehen von den Abgängen Heidenreich und Ihl, deren Transferrechte leider in weibliche Hände fielen. Glücklicherweise wurden diese Verluste schnell durch eigene Jugendspieler wie Mozart Jamin und Markus "Eisen-Dieter" Frey wettgemacht, die die beiden Bolzwies- Methusalems mehr als gleichwertig ersetzten.

Und jeder Spieler wußte, welche Ehre es bedeutete, für den FC Bolzwies zu spielen. Und als Uli Hoeneß bei den Bayern seinen Job kündigte, weil niemand trotz seiner Angebote über 10 Mio DM Jahresgage vom FC Bolzwies wegwollte, da haben wir uns im Clubheim ganz gemütlich auf die mittlerweile schon etwas marode Couch gesetzt und so ein - zwei - drei kühle Cola-Weizen genossen, und die Stimmung war so gut, daß man sie am besten mit dem Statement einer 76-jähriger Frau beschreiben konnte, die Ohrenzeugin dieser Feier war, und die am nächsten Tag in einem Gespräch mit einer Journalistin zugab: "Ich finde das geil".

Natürlich war nicht alles eitel Sonnenschein, es gab auch ein paar Probleme, und wenn ich es mir recht überlege, sogar eine ganze Menge:

Da war zunächst einer unserer Mittelfeldspieler, ey, der trotz unseres Werbevertrages mit der Bitburger Brauerei darauf bestand, Karlsberg zu trinken, und zwar keine Stubbis, sondern lieber Drittelchen. Der Streit ging wochenlang durch die Boulevardpresse, bis Bitburger nachgab, gleichzeitig jedoch forderte, daß Mario Basler in seinem Western "Ich bin keiner, der wo lange fackelt" Bitburger im Saloon trinken solle. Aber das war uns im Grunde dann egal.

Kurz darauf stand uns schon der nächste Gerichtsprozeß ins Haus. Ein Spieler zog sich während des Trainings eine Schürfwunde am Daumen zu, und weil der Rettungshubschrauber so lange brauchte, verklagte er die Knappschaft auf Schadenersatz, weil etwas Blut auf sein neues Bayern-Trikot gekommen war.

A propos Daumen. Ein anderer Spieler kehrte mit gebrochenem Daumen von seinem Mallorca-Urlaub zurück. Seine Erklärung, er habe sich beim Einschlagen eines Zelt-Herings auf den Daumen gehauen, verstand keiner. Wer fliegt schon nach Mallorca, um zu zelten?

Überhaupt haben wir keine guten Erfahrungen mit südlichen Gefilden gemacht. Ein Spieler fiel nämlich nach unserem Trainingslager in Portugal 6 Monate aus. Weil der Flieger, der uns nach Hause bringen sollte, eine halbe Stunde Verspätung hatte, trat besagter Spieler die Heimreise auf eigene Faust an. Zu Fuß. Und das dauert halt eine Weile.

Eine Weile gedauert hatte auch der Aufenthalt eines anderen Spielers auf der Intensivstation. Der lag dort wegen einer Lebensmittelvergiftung: Zu viel Brot.

Aus biologischen Gründen mußten wir auch die Trainingszeiten umstellen, weil ein Spieler sich jeden Mittag um halb vier - also nach einer halben Trainingsstunde - mit den Worten "Ich muß kacken" vom Training verabschiedete und dann erst kurz vor Schluß wieder kam.

Und dann die Stimmbandentzündung eines Fußballfans unter uns. Nach dem mühsam erkämpften 1:0 seiner Lieblingsmannschaft gegen den FC Schalke 04 sang besagter Spieler sieben Tage und Nächte lang am Stück, ohne aufzuhören. Danach waren seine Stimmbänder hinüber. Leider haben die Ärzte sie wieder hinbekommen.

Nicht mehr hinbekommen hätten wir es fast, daß ein Leistungsträger uns beinahe verlassen hätte. Nachdem sein Nacktfoto in der Sportbild mit dem Untertitel "Ich bestehe nur aus Muskeln und Samensträngen" veröffentlicht worden war, konnte er sich vor den Angeboten der besten Frauenmagazine kaum noch retten. Eine Zeitschrift hätte es fast geschafft, ihn vom FC Bolzwies wegzulotsen. Sie bot ihm nämlich 364 Urlaubstage im Jahr, die er alle auf einer grünen Frühlingswiese verbringen durfte, mit allem, was er sich noch dazu wünschte. Nur kein Bier. Da lehnte der Spieler ab.

Dafür wurden wir alle auch noch auf anderem Wege berühmt: Unsere Techno-Version von "Morgen kommt der Weihnachtsmann" mit gesampleten Originalsounds von der Bolzwies belegten wir 28 Wochen lang Platz 1 der deutschen Verkaufshitparade. Der Refrain "Oah! Die honn jo meh Gligg wie die gonz Sach wert is! Oah!" war ein Ohrwurm, den man von morgens bis abends auf allen Kanälen der Ultrakurz-, Mittel- und Langen Welle hörte.

Das war auch die Zeit, in der es in der Mannschaft so einige Eifersüchteleien gab. Zwei Spieler, die beide scharf auf den selben Ferrari JL 79 waren,führten einen erbitterten Kleinkrieg, der sich jedoch von selbst erledigte, als beide ihren Führerschein verloren.

Auch die sogenannte Ausweisaffäre brachte uns die Polizei ins Haus. Zwei Spieler waren wiederholt nachts unbefugt auf einem Fabrikgelände gesehen worden, und als sie beim dritten Versuch noch einen gefälschten Werksausweis dabei hatten, durften sie eine Nacht im Knast verbringen. Wenigstens haben sie den dritten im Bunde nicht verraten, der so etwas schon häufiger getan hatte, an diesem Tag aber gerade Fallschirmspringen war.

Naja, alle diese kleinen und großen Krisen bekamen wir gemeinsam in den Griff, und so wurden wir zu der Einheit, die man auch auf dem Platz sieht. Unser neues Stadion, das vor drei Jahren fertiggestellt war, ist mit 125000 Zuschauern auf 8 Jahre ausverkauft, und mit der Errichtung einer Fabrik zur Produktion unserer Fanartikel haben wir die saarländische Arbeitslosenzahl halbiert.

Der Pfiff der Schiedsrichters reißt mich aus meinen Erinnerungen. Franky Borshett läuft an, schießt, und ...

THE END

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